Das Rückgrat der Seglergemeinschaft
Wie sieht es heutzutage auf den Weltmeeren aus, gibt es die oft zitierte Seglergemeinschaft in unserer immer schnelllebigen Zeit überhaupt noch? Dieser Frage geht hier heute Ursula in einem Gastartikel auf den Grund. Die weltoffene Langfahrtseglerin lebt bereits seit knapp fünf Jahren zusammen mit ihrem Mann als Liveaboard in unterschiedlichen Gegenden dieser Welt und berichtet hier über ihre persönlichen Erfahrungen zum Thema Seglergemeinschaft.
Leben als Liveaboard
Das Leben als Segler, der Cruising Lifestyle ist eine wunderbare Lebensform, die sich aber natürlich vom Leben an Land unterscheidet. Die Lernkurve ist steil, wenn man vom Land aufs Boot umzieht, denn man muss sich an viel Neues gewöhnen. Neben dem klassischen Segeln, Navigieren, Steuern, Kochen an Bord, Ankern, Ein- und Ausklarieren, Boot Warten und Reparieren muss man sich neben dem ständigen Geschaukel an Bord auch in die Seglergemeinschaft eingewöhnen.
Man sieht sie oft. Menschen, die einfach zusammen hocken und reden oder Mahlzeiten teilen. Segler. Irgendwie sieht es so aus, als wäre das schon immer so gewesen, als würden die sich seit Ewigkeiten kennen. Aber was ist mit mir? Passe ich dort rein? Von außen gesehen wirken alle so, als wären sie schon immer beste Freunde. Jeder kennt jeden und nur ich bin die Neue, die noch keinen kennt. Der Außenseiter.
Segler sind weltoffen und gerne auch richtige Unikate
Zu allererst: keine Panik! Segler sind die offensten Menschen, die ich bislang kennen gelernt habe. Sie heißen jeden willkommen. Das liegt wohl in der Natur des Seglerlebens. Andauernd kommt jemand Neues an und jemand anders verlässt den Platz und bricht auf zu neuen Ufern.
Bevor wir die Leinen los geworfen haben, habe ich in der Zeit davor versucht alles zu lernen, was ich konnte. Aber ehrlich gesagt, ich hatte ja keine Ahnung von dem, was ich nicht wusste und habe nicht daran gedacht, nachzufragen. Die Fragen, die einem durch den Kopf gehen, sehen so ähnlich aus wie:
- Werde ich dazugehören?
- Wie werden die Menschen mich behandeln?
- Ich verlasse all meine Freunde, werde ich neue finden?
Die Seglergemeinde nimmt Dich in der Regel ohne Vorurteile in ihre Community auf
Was ich so sehr liebe an der Seglergemeinschaft ist, dass es keine schnellen und einfachen Regeln gibt, den anderen zu beurteilen. Hier geht es nicht um Dein Boot, Deine Kleidung oder darum, wie viel Geld du mal in Deinem Job verdient hast. Die Gruppe der Menschen, die sich auf dem Wasser treffen, ist so divers wie die Menschheit selbst. Man findet Paare, Singles, homosexuell, hetero, bi, trans und was es da alles gibt. So ziemlich jedes Alter ist vertreten, von Kindern bis 80 plus. Alle Nationalitäten, Religionen und Farben. Wilde Haarfarben, natürliche und alles dazwischen. Menschen, die nicht mehr arbeiten brauchen, andere die noch vom Boot aus arbeiten oder immer mal wieder nach Hause fliegen zum Arbeiten. Die, die sich um Geld keine Sorgen mehr machen brauchen und die, die eher ein kleines Budget zur Verfügung haben. Die mit Körperschmuck wie Tattoos oder Piercings und die ohne. Den meisten Seglern ist das alles nicht wichtig. Aber was ist ihnen wichtig?
Was ist Seglern Dir gegenüber wichtig?
Ganz einfach: Was für eine Art Mensch Du bist. Begegnest Du anderen Menschen mit Respekt? Hilfst Du anderen, wenn du kannst? Da draußen auf See sind wir eben alle gleich, die Natur macht keinen Unterschied, welche politische Einstellung Du hast oder wie Deine Haare aussehen. Da geht es um Dich und Dein Boot.
Ich möchte hier kurz eine Geschichte erzählen. Während der Corona Krise lagen wir in Portugal vor Anker. Es gab außer uns noch drei andere Boote. Unter anderem eine kleine 30 Fuß Yacht mit einer Schwedin an Bord, die nun zwei Wochen unter Quarantäne stand. Die anderen Boote haben sich um die junge Schwedin gekümmert. Jeder hat vom Supermarkt etwas mitgebracht, den Müll mit an Land genommen und vom Dinghi aus ihr ab und an Gesellschaft geleistet. Als in einer eher stürmischen Nacht der Anker der Schwedin nicht gehalten hat, haben beide Boote sich ins Dinghi gesetzt und ihr geholfen, das Boot wieder sicher neu zu ankern. Dabei mussten beide sich auch um ihre eigenen Boote kümmern.
Das ist nur eine kleine Geschichte von der Hilfsbereitschaft, die Segler sich gegenseitig entgegenbringen. Genau das gibt es immer wieder, in endloser Mannigfaltigkeit. Und nein, man muss sich deshalb nicht schon vorher lange kennen. Genau genommen muss man sich gar nicht kennen.
In einem anderen Fall haben andere Segler einem Boot geholfen, das schon Grundkontakt gehabt hatte. Eine Nacht lang ist die Yacht gegen die Felsen der Insel Madeira gerieben. Am nächsten Tag kamen 10 andere Boote und haben die Yacht wieder ins Wasser gezogen. Aber damit nicht genug, die Yacht hatte schwere Schäden erleiden müssen. Aber es kamen Ingenieure, die geplant haben was getan werden muss. Es gab Holzarbeiten, Schweißarbeiten und ganz viel zu putzen. Für jeden Job gab es jemanden, der geholfen hat. Werkzeug, Putzmittel, Arbeitskraft und alles was gebraucht wurde, wurde organisiert. Jeder kannte jemanden, der helfen konnte. Es gab viele, die die fleißigen Arbeiter mit Essen versorgten. Es gab so viele Freiwillige, die einfach kamen und fragten: “Was kann ich tun?” Und genau darum geht es in der Gemeinschaft der Segler.
Was trägst Du zur Seglergemeinschaft bei?
Sobald Du einmal weg bist von Baumärkten, Mechanikern oder dem Internet sind die Menschen um dich herum, die einzigen, die Dir helfen, wenn Du Dir nicht mehr selber helfen kannst. Niemand wird Dir helfen oder nicht helfen, aufgrund von dem was Du einmal getan hast oder nicht getan hast. Aber wenn Du willst, dass die Gemeinschaft ihre Kultur beibehält, dann solltest Du dazu beitragen und helfen, wenn Du kannst.
Ich weiß, Du bist neu. Ich höre Dich sagen: “Ich habe keine Erfahrung, was kann ich schon beitragen?” Ich wette, Du kannst. Es gibt so viele Wege, anderen Menschen zu helfen. Das bedeutet natürlich nicht, dass du den ganzen Tag durch die Marina laufen sollst um andere Segler in Not zu finden. Nein, einfach die Augen offen halten reicht schon.
Manchmal braucht es nur eine extra Hand hier oder da. Vielleicht hast Du an Land irgendwas gelernt, was jemand anders dringend braucht. Vielleicht hast Du ein spezielles Werkzeug oder kannst einfach wieder jemanden zum Lachen bringen. Du kannst vielleicht mit dem Hund von Deinem Nachbarn Gassi gehen, wenn er nicht kann. Oder Du hast einen Drucker oder eine Nähmaschine an Bord? Oder Du sprichst die Sprache des Landes und kannst jemandem helfen, der sie nicht spricht?
Wirklich, es geht nicht darum der Superheld zu sein oder ein Mechaniker, um jemand anderem helfen zu können. Ich kann natürlich nicht alle Möglichkeiten auflisten, die es gibt jemand anderem zu helfen. Aber ich denke, du verstehst, wovon ich rede. Zu 90% der Zeit reicht es, wenn Du jemanden etwas Großes und Sperriges tragen hilfst oder dem anderen “Neuen” erzählst, wo die Mülleimer sind, oder wo der nächste Supermarkt liegt. Die goldene Regel lautet:
Behandele andere so, wie du behandelt werden willst. Hinterlasse den Ort besser als Du ihn vorgefunden hast.
Und was ist mit den Fähigkeiten, die Du beruflich machst? Wenn Du ein Mechaniker bist, ein Rigger oder Bootsbauer. Oder auch Friseur oder Dogsitter?
Ich empfehle nicht, jede Deiner Kenntnisse ohne Bezahlung zu teilen. Natürlich musst auch Du von etwas leben und hast ein Recht auf Bezahlung. Es liegt an Dir zu entscheiden, ob und wie Du helfen willst und ob Du Deine Hilfe an Segler entweder für ein Bier oder einen günstigeren Preis anbietest. Daher solltest Du auch jedem, der Dir hilft und Dir seine professionelle Hilfe bereitstellt, Bezahlung anbieten.
Hab keine Angst, andere Segler nach Hilfe zu fragen
Also zögere nicht und hab keine Angst, auch mal andere in der Segler-Community nach Hilfe zu fragen. Um ein Ersatzteil, eine helfende Hand oder einfach um einen Lösungsvorschlag für ein technisches Problem an Bord, über das Du schon eine Weile brütest.
Merke: Du bist nicht alleine!
Jetzt kommen die schwierigen Fragen. Was, wenn jemand ein Ersatzteil benötigt, das Du an Bord mitführst, das aber schwer wiederbeschaffbar ist? Oder Du an einem sehr abgelegenen Ort bist?
Einerseits ist es hart, etwas wegzugeben (oder zu verkaufen), dass Du schlau genug warst mitzunehmen und der andere nicht. Maschinenteile, ein Ersatzankerlicht oder gar etwas Großes wie ein Ersatzsegel. Was, wenn Du es dann später brauchst und nicht mehr hast? Andererseits brauchst du es nur hypothetisch, der andere braucht es jetzt. Das musst Du letztlich selbst entscheiden. Ich stelle mir immer die Frage, wie arm dran der andere ist, wenn er es nicht hat. Medizin, Wasser, Diesel, alles essentiell. Alles, was für die Sicherheit des Bootes wichtig ist, damit es funktioniert. Bolzen, Leinen, Rigging, auch sehr wichtig. Ein Paddle für das Standup Paddlebord? Nicht so wichtig. Verschenken, nein. Verleihen, ja.
Eins noch. Wenn jemand Dir mit einem Ersatzteil aushilft, dann bezahle ihn dafür was immer es Dich gekostet hätte, es dorthin zu bekommen wo Du bist. Vielleicht müssen sie es morgen für sich selbst neu besorgen. Sie tun Dir einen großen Gefallen, diese Dinge mit Dir zu teilen, um Dir zu helfen. Stiehl Dich nicht davon!
Für etwas, was Dir ausgeliehen wurde braucht es keine Bezahlung. Für das Paddle zum Beispiel. Aber eine kleine Aufmerksamkeit als Dankeschön, darüber freut sich jeder. Ein selbst gebackener Kuchen oder frisch gefangener Fisch? Zusammenfassend kann man sagen…
Die Segler-Community ist EINE GEMEINSCHAFT
Die Menschen kommen und gehen, aber jeder hilft wo er kann, um die Seglergemeinschaft aufrecht zu erhalten. Und wenn Du selbst unterwegs bist, und Du hörst jemanden um Hilfe fragen während sofort fünf andere antworten und Hilfe anbieten, dann wirst auch Du sagen, was ein guter Freund einst sagte:
Ich liebe, wo ich lebe!
Wie ist das bei Dir? Wem konntest Du in der letzten Segelsaison helfen? Oder hast Du selbst schon Hilfe von anderen erhalten? Nimm Dir einen kurzen Moment Zeit und lass uns unten bei den Kommentaren wissen, was Du schon alles an verbindenden Momenten erlebt hast.
Autor: Ursula Münchinger
Ursula lebt mit ihrem Mann seit 2016 auf Langfahrtyachten und bloggt vorwiegend über Rezepte für die Bordküche. Hier geht es zu ihrem Blog mit leckeren Rezeptideen für SeglerInnen und Individualreisende www.rezeptefuerunterwegs.de.
12 Comments
Auf unserer Tour “Rund Europa” 4500 Seemeilen von der Ostsee ins Mittelmeer, waren wir froh das es doch noch Segler gibt die diese Gemeinschaft leben. Leider mussten wir auch feststellen, dass viele Segler nur den eigenen Vorteil suchen und eine gewisse Anonymität an den Tag legen. Wir freuen uns auf jeden Fall, wenn wir mit Seglern Kontakt haben und helfen können.
So ist es auch passiert, dass wir eine österreichische Yacht mit Motorschaden vom Süden Sardiniens, ca. 60 Seemeilen nach Cagliari geschleppt haben. Daraus entstehen oft Bekanntschaften, die wir sehr schätzen. Wir helfen gerne und sehen Hilfe auf See als Ehrensache. Unsere Reise als kurzen Trailer findet ihr auf Youtube unter “Rund Europa” Viel Spaß Doris&Roman – nautika.at
Doris und Roman, ja Eurer Abschleppmanöver hatte ich schon so nebenbei im Herbst auf Facebook mitbekommen. Schöne Einstellung, die ich auch selbst so lebe…
Uns ist die Ankerkette gebrochen, da haben uns spontan 3 Segler geholfen.
Nachzulesen unter…
https://wp.me/p5ztay-mUH
https://wp.me/p5ztay-mVJ
Wir haben auch bei der Suche von Anker inklusive Kette geholfen.
https://wp.me/p5ztay-mCr
Moorings geflickt uvm.
Hilfe geben und Hilfe bekommen ist ganz selbstverständlich auf Langfahrt.
Brigitte, da hattet Ihr wohl sehr großes Glück im Unglück…
Da gibt es natürlich sehr viele Geschichten, die sich in fast 40 Segeljahren ereignet haben.
Ein paar, dir mir spontan einfallen:
Wir lagen vor Lipari und ich habe versehentlich Diesel in den Outborder getankt und fuhr los um frisches Brot zu holen. Natürlich war es recht windig, als nach kurzer Zeit der Motor aufgab. Aber nach kürzester Zeit wurde ich von einem Ankernachbar bemerkt und er hat mich zurückgeschleppt. Das Ganze hat sich noch in aller Herrgottsfrüh abgespielt!
Oder als meine Buben mit dem Dinghi bei Porto Pino spazieren fuhren und ihnen der Sprit ausging . Auch da kam sofort jemand zur Hilfe und brachte sie zurück.
Heuer bei einem schweren Gewitter in Vieste (Apulien) war es allerdings so, dass niemand an Bord seiner Yacht war als die heftigen Gewitterböen (bis 65 kn) über diese Marina fegten. Die saßen alle im Hafenrestaurant, während die Marineros und ich alle Schiffe nochmals vertauten mit diversen Springs und Leinen, sowie mit allen verfügbaren Fender und Gummimatten absicherten.
Aber das waren auch zum größten Teil Motorbootfahrer…
Danke Georg für Deinen Input. In 40 Segeljahren hast Du bestimmt schon einiges erlebt. Jatzt wird es dann im neuen Jahr wirklich einmal Zeit, dass wir uns mal persönlich Treffen.
Bis bald,
LG Markus
Klar! In 14 Jahren kommt das öfter vor, hin oder her. Drifter im stark strömenden Suriname Rivier hat sich bei uns eingehakt, ein Anker für zwei. Ein paar Jahre später versagt unser Außenborder nachts , na wo wohl? Im stark strömenden Suriname Rivier, ein Mooringlieger mit feinen Ohren hat’s gehört, vor allem unser Fluchen. Wir “retten” eine unbemannte australische Yacht, schon weit draußen vor der Insel Flores. Hoher Spritverbrauch bei der Passage von Brasilien nach Guyana, und Du kannst nicht tauchen? Klar, ich komme rüber. Ankerkette hakt in 14 m Tiefe? Thoralf, das Apnoewunder, hat genug Puste …
Dein Herd geht nicht? Voilà, unser Campingkocher…
Funkanlagen sind immer ein schönes Austauschthema, in beide Richtungen… und immer wieder Außenborder, zum Beispiel, wenn wir verzweifelt nach einer Fehlerquelle suchen (die sich dann als schnöder Spritmangel herausstellt).
Dass es gegenseitige Hilfe nicht gäbe, ist ein Narrativ von Miesmachern.
Übrigens: das Internet ist eine ganz tolle Basis für Hilfe über viele hundertMeilen und über ganze Kontinente und Ozeane hinweg. (Es lebe übrigens der Kurzwellenfunk…)
Andrea, danke fürs Teilen Deiner/Eurer Erlebnisse als Langfahrtsegler. Dass der Außenborder und der Gasherd oftmals zicken, habe ich auch schon mehrmals erlebt und Apnoe-Taucher stehen meiner Meinung nach auch immer sehr hoch im Kurs…
LG Markus
Wir konnten im letzten Jahr unter anderem einen Anker in 16 Meter Tiefe befreien und mit einer exotischen, aber wichtigen Schraube am Ende der Welt aushelfen. Dafür haben wir von jemand anderem Französisch-Unterricht bekommen.
Beim Lockdown wegen der Cocid-19 Krise haben unsere Segel-Nachbarn und wir den neu angekommenen Seglern, die in Quarantäne mussten, Eier, Früchte und Wasser gebracht.
Helfen ist unter Seglern wirklich eine Selbstverständlichkeit.
Hi Sabine, ja exotische Schrauben aufheben und dann im Bedarfsfall auch wieder finden ist gerade in abgelegenen Regionen der Welt bestimmt enorm viel Wert…
Hatte schon einige Gelegenheiten, Anderen zu helfen: Beispielsweise freitauchend einem Segler eine verfangene Leine aus seiner Schiffsschraube geholt, einem anderem Segler den Anker in 20m Tiefe freigemacht, dafür sizilianische frittierte Leckereien bekommen. Oder da lag vor Capria ein Skipper im Hafen der zahlende, völlig verzweifelte Gäste, nicht ausfahren konnte, da “der Anlasser hin sei” war jedoch nur eine Kontaktproblem an seinem Batterieanschluss…Gute Flasche Wein gab’s als Belohnung! Speziell mit den unterschiedlichen Nationen tolle Erfahrungen gemacht…
Viele Grüße Marian
Marian, das klingt gut. Einen Taucher oder noch besser einen Apnoetaucher kann man beim Segeln oft brauchen, genauso wie einen guten Allround-Bootstechniker wie Du es scheinbar auch bist…
Danke fürs Teilen Deiner Erlebnisse,
Liebe Grüße
Markus